Donnerstag, Februar 23, 2006

Loccum - Europäische Identität + Verfassung

Ein Rückblick

180 Teilnehmende diskutierten im Plenum, in den Foren und vor allem bei Tisch und am Abend die Thesen und Vorträge. Wie stets wurden Netze gepflegt und einige Personen neu in Netze aufgenommen.
Fühlte mich am zweiten Abend im falschen Film, da Europa nur als ein Thema von vielen noch vorhanden war und die Netze nicht mehr zugänglich waren.

Ich hatte mehr erwartet und erfuhr auf der Tagung, dass es fast unmöglich ist, sich überhaupt ein Begriff von einer europäischen Identität zu machen. Viele Redner redeten davon das „Eine Verfassung für Europa“ elementar für jede weitere Entwicklung sei. Dem stimme ich zu, aber nicht mit diesem misslungenen Text. Es nervte ungemein, das wieder und wieder Propaganda für den vorliegenden Entwurf gemacht wurde. Es wurde zurecht in einer Wortmeldung aus dem Publikum angemerkt, dass das Scheitern des bisherigen Entwurfes von allen verstanden wurde, aber die politische Elite tut so, als wenn der unveränderte Verfassungstext weiterhin zur Abstimmung vorliegt. Es wurde das fast schon skurrile Argument vorgetragen, dass dieser Text nach sehr langen Verhandlungen und Kompromissen entstanden sei. Das ist die klassisch primitive Argumentation, weil wir bereits so viel investiert haben, ist es nicht mehr zu ändern (ähnlich auch in Gorleben verwendet, wo bisher mehr als eine Milliarde ausgegeben wurde).

Die haben es einfach nicht verstanden, dass zweitklassige Senioren der Politik definitiv nicht die Autoren einer Verfassung sein können. Eine Verfassung ist ein Text für die Ewigkeit geprägt aus den Erfahrungen der Vergangenheit und nicht ein Konvolut aktueller Zänkereien und Tendenzen. Die Würde einer Verfassung zeigt sich daran, dass sie nicht regelmäßig verändert werden muss. Der vorliegende Text erfordert ständige Anpassungen an die Realität.

Neben diesen durch Aktualität verunreinigten Passagen sind es vor allem die Anhänge und Erläuterungen, die ein wesentlicher Bestand der Verfassung sein sollen, die den Text unlesbar machen und viele Passagen zurücknehmen. Dem 448 Artikeln auf 190 Seiten (Ausgabe der EU) folgen 210 Seiten Protokolle und Anhänge und weitere 70 Seiten Erklärungen (sprich Einschränkungen) der nationalen Regierungen.
Macht eine echte Volksabstimmung über die vier Teile der Verfassung! Die Charta der Grundrechte der Union (Teil 2, Artikel 61-114) werden garantiert eine Zustimmung von mehr als 90 Prozent erhalten. Der Rest muss neu geschrieben werden.
Der Entwurf einer Verfassung regt mich wirklich auf, denn sowohl Artikel 3 (Ziele der Union) oder 41 (Sicherheits- und Verteidigungspolitik) zeigen, dass bürokratisches Denken die Formulierungen beeinflusste. Unnötige Inhalte (3, 41) und ein unlesbarer Wust (41) zeigen sich hier. Wenn ein Artikel mehr als eine Druckseite benötigt, dann ist er entweder unausgegoren oder wahrscheinlicher nicht für eine Verfassung geeignet.
Wie haben alle lernen müssen, Texte so weit zu verdichten, dass nur noch Leitgedanken übrig bleiben. Dies ist ein Beispiel für ein Scheitern auf hohem Niveau. Wenn ich der Auftraggeber gewesen wäre, hätte ich den Text nicht angenommen (Schulnote 6), da der Auftrag (Eine Verfassung) nicht erfüllt wurde.

Tagungen in Loccum sind immer wieder anregend!

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Europa? Verfassung?

Bei solchen Diskusionen muss ich mich immer wieder fragen, wozu sie eigentlich fuehren sollten. Europa kann durch ein Stuck Papier zu keiner Identitaet kommen. Oder irre ich mich?
Und falls auch...was soll diese Identitaet bringen? Falls man sich mit irgenwas identifizieren mochte, heisst es doch automatisch sich von jemandem oder irgenwas abzugrenzen...dass brauche ich aber nicht wirklich...

Brauel in Ulaya hat gesagt…

Individualpsychologisch hast du recht. Identität entsteht aus einer Abgrnzung zum Anderen.
Europäische Identität sollte ein Teil einer gestuften Identität zu einer Gruppe sein. Es geht dabei zum Beispiel um die Frage, wenn du beschreiben sollst wer du bist, und du sollst dies mit den Kategorien Heimatort, Heimatland, etc. machen, dass dann in dieser Aufzählung auch irgendwo Europa erscheint.
Ich fühle mich zum Beispiel 1. Als Niedersachse, 2. als Europäer, 3. als Deutscher und erst 4. als Rotenburger (mein Geburtsort!). JDM

Anonym hat gesagt…

nur eine kleine provokante Frage was heisst es beispielsweise Niedersachse zu sein? Gibt es etwas typisches woran man bestimmt einen Niedersachsen erkennt?

Und ubrigens, ich wurde vor paar Jahren in der Tchechoslowakei geboren...ein Staat das es nicht mehr gibt...jetzt heisst es, ich wurde in der Slowakei geboren...ich finde es etwas tragikomisch. Daran habe ich einfach gelernt dass Identitat nicht von politischen Entscheidungen, Geburtsort oder was Ahnlichem definiert ist...man hat einfach Gluck oder Pech und in standigem Auseinandersetzen mit der Umgebung formiert sich irgendein Mensch...ich mag es einfach nicht sich zu einer Gruppe von Menschen zu zahlen...daraus entstehen immer nur Probleme, vereinfachte Darstellungen, Hass...

Also wenn mich jemand fragt wer bist du, dann sage ich ihm einfach, ich bin ein Mensch und alles andere ist irgedwie zu kompliziert...