Samstag, Juli 29, 2006

Zeit und Raum im Europa-Kolleg

Das Europa-Kolleg 2006 ist beendet und ich habe diese Insel wieder verlassen. Es ist interessant zu beobachten, wie sich Zeit und Raum in diesen zwei Wochen verzerren. Die Zeit erscheint oftmals extrem gedehnt und im nachhinein verging das Kolleg wie im Flug.
Wolfenbüttel ist eine Insel, eine Insel fern der deutschen Realität. Die täglichen Nachrichten erreichen mich dort nicht. Im Scherz fragte ich heute, ob denn Angela Merkel noch Kanzlerin ist. Selbst im Urlaub verfolge ich intensiver das allgemeine und vor allem das politische Geschehen in Deutschland und Europa.

Ich habe mich bemüht, professionelle Distanz zu den Teilnehmenden zu wahren, aber der Abschied war für mich eine hoch emotionale Situation. Die Gruppe und noch stärker einzelne Personen sind mir ans Herz gewachsen. In den zwei Wochen entstehen keine Freundschaften, aber ich wünsche und hoffe, dass einige Kontakte erhalten bleiben.

Samstag, Juli 15, 2006

EK06-Anfang

Das EK06 hat begonnen. Zwischenzeitlich sind 18 Teilnehmende anwesend und wir saßen am späten Abend in einer Runde von zwanzig Personen im großen Kreis auf dem Theaterboden. Hier begann eine Vorstellungsrunde und wer weiß wieso, aber jede Person nutzte nur wenig mehr als fünf Wörter, um sich vorzustellen.
Die Selbstdarstellungen gaben einen Hinweis auf das Niveau der regionalen Identität. So war zu hören "bin aus Hermannstadt" (sie kam aus Sibiu in Rumänien) aber auch "bin aus Rumänien" (er kam aus Bukarest). Die Teilnehmenden aus Lissabon, Helsinki, Athen, Thessaloniki und Poprad identifizierten sich ähnlich mit ihren Ländern, während die aus Spanien und Italien ausdrücklich auf Bilbao, Barcelona, Varese und Rom verwiesen.

Ich bin sehr optimistisch, was den diesjährigen Jahrgang betrifft.
Die vielen kleinen gespräche zeugen von der notwendigen Mischung aus Neugier/Offenheit auf der einen und vielschichtigen Wissen auf der anderen Seite.

Deutsche Sprache und der Duden

Habe gerade eine Glosse von Uwe Ebbinghaus in der FAZ gefunden. Er geht die Liste der neuen Wörter durch, die im neuen Duden erscheinen werden. Die Duden-Redaktion wird ja immer noch so behandelt, als wenn sie eine offizielle Institution wäre. Er kommentiert ein paar sehr merkwürdige Neuzugänge, die zum Teil bereits veraltet sind, wenn das Buch im Handel vorliegt.

George W. Bush und der Staatsrundfunk NDR

Manchmal wird man sehr zynisch daran erinnert, dass der Norddeutsche Rundfunk sehr stark von den norddeutschen Regierungen kontrolliert wird.

George W. Bush war in Mecklenburg-Vorpommern zu Besuch und für den gefährlichsten Mann der Welt wurden 15.-20.000 Sicherheitskräfte mobilisiert, um Gefahren und Proteste weit im Vorfeld zu beseitigen oder zu unterdrücken. Unterdrücken? Ja, denn wie sonst ist es zu bezeichnen, wenn den Bewohnern der von Mr. Bush besuchten Städte verboten wird, ihre Fenster zu öffnen und Transparente und andere Zeichen eines Protestes von der Polizei entfernt werden.
Doch ich möchte eine Lächerlichkeit berichten, die ich vor zwei Tagen im NDR-Fernsehen gesehen habe und die mir bisher nicht aus dem Kopf gegangen ist. Der NDR hatte einen großen Tag und war wie bei der Queen oder anderen medienschillernden Personen mit großem Aufgebot vor Ort. Vor Ort (Stralsund) nahm Mr. Bush auch einmal ein Band in der jubelnden Menge. Dies war kein normales Publikum; handverlesene Gäste durften auf den Marktplatz und ihren Präsidenten zujubeln. Und jetzt kommt der zynische Teil. Der NDR interviewte danach einige dieser Menschen um zu dokumentieren, dass der Besuch des US-Präsidenten ein großer und wichtiger Tag war und die Menschen glücklich sind, weil sie den mächtigsten Mann der Welt aus nächster Nähe gesehen hatten. Mr. Bush hat mit einen Filzschreiber Autogramme verteilt und stolz zeigten die Menschen ihren Arm oder ihre Hand mit der Unterschrift von G.W. Bush. (Hacken die jetzt ihren Arm ab, um ihn unter Glas an die Wand zu hängen?)
Kein Wort darüber, dass dies ausgewählte Menschen waren, die eine positive Affinität zur USA, seinem Präsidenten und unserer konservativen Kanzlerin haben. Da Proteste in der Form von Demonstrationen oder Transparenten verboten waren, wurde durch den NDR der Eindruck erweckt, als wenn dieser Mensch willkommen gewesen wäre.
Dies war vor allem das teuerste Picknick aller Zeiten (€20.000.000) in einer Region, die die höchste Arbeitslosen- und Armutsquote in Deutschland hat.

Freitag, Juli 14, 2006

Ehrensenf - Internet-TV

Auf der rechten Seite wurde neu eine Verknüpfung zu Ehrensenf dem Anagramm von Fernsehen gelegt. Ich bin ein Spätzünder, was dieses lustige Angebot angeht.
Fast täglich eine mehrminütige Nachrichtensendung zu den Absurditäten, die im Internet zu finden sind, mit feinen bis derben Anspielungen auf tagesaktuelle Geschehen. Habe mir gestern 10 Folgen angeschaut und die Humorqualität liegt oft auf dem Niveau von Harald Schmidt und manchmal darüber (oder um beim Vergleich zu bleiben, wenn HS mal wieder genial ist).
Wenn wundert es da noch, dass Ehrensenf bei der jährlichen Preisverleihung vom Grimme -Instituts (der so genannte deutsche Fernseh-Oscar) sowohl den Online Award Kultur und Unterhaltung und Publikumspreis gewonnen hat.

Meine vorletzte Ergänzung war ja ein Flop! Die kostenlose Umfragesoftware ist zwar für mich interessant, aber meine Notizen werden a) von zu wenigen gelesen und b) von denen gaben noch weniger eine Stimme zur EU-Erweiterung ab.

Donnerstag, Juli 13, 2006

Gruppenblog EK06

Als ich diesen Blog einrichtete sah ich, dass es die Möglichkeit gibt, dass mehreren Personen das Recht zum Verfassen von Beiträgen gegeben werden kann. Seit kurzem bewegt mich nun die Idee, ob dies nicht für das EK06 genutzt werden kann.
Zum Thema "Von der bedrohlichen zur bedrohten Natur? Mensch und Umwelt in Europa in Geschichte und Gegenwart" wurde eine vorbereitende Hausaufaufgabe formuliert und die zwanzig Texte liegen mir nun vor. Viele (wenn nicht alle) würden sich nach leichter Überarbeitung für eine Publikation eignen. Ähnlich könnten auch Texte, die im EK06 verfasst werden, in so einen neuen Blog eine kleine Öffentlichkeit finden und vor allen stets griffbereit sein. Regionale Betrachtungen und Erzählungen zur Umwelt aus 12 Ländern sind unterhaltsam und informativ.
Vielleicht läßt sich diese Idee verwirklichen.
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Am 16. Juli wurde der Gruppenblog Europa-Kolleg 2006 eingerichtet.

Mittwoch, Juli 12, 2006

Schienenersatzverkehr

Eigentlich ist dies die exakte Bezeichnung für den Busersatzverkehr, wenn eine Zuglinie nicht in Betrieb ist, aber es eines dieser sperrigen Beispiele für einen Terminus technicus, der einen zeigt, dass es um Organisation in der Öffentlichkeit geht. Wer erfindet eigentlich solche Wörter wie auch ÖPNV Öffentlicher Personennahverkehr?

Als gestern die Bahnstrecke zwischen Hämelerwald und Peine gesperrt war, kamen Busse zum Einsatz. Wir waren bereits mindestens der zweite Zug, der von dieser Sperrung betroffen war. Erst in so einer Situation, wenn alle Pendler an einen Kleinstbahnhof den Zug verlassen, wird deutlich wie viele Menschen mit einem reisen. Es benötige zwei von diesen verlängerten Bussen mit allen Sitzplätzen und drangvoller Enge auf den Stehplätzen, um die Passagiere aufzunehmen.
Die kurze Bahnstrecke wurde zu einer sehr langen Fahrt. Alleine bis zum nächsten Bahnhof Vörum war die Busstrecke länger als die Bahnstrecke bis Peine. Dort stand dann aber wartend ein Zug nach Braunschweig. Bei so elementaren Störungen warten keine Anschlußzüge und so waren meine Verbindungen schon verschwunden und ich stand vor dem 75-minütigen Zeitloch, in denen kein Zug nach Wolfenbüttel verkehrt. Die Busse zur Arbeit sind wirklich eine schlechte Alternative, da es dort wieder über die Dörfer ging.
Zumindest gab es einen neuen Rekord: 150 Minuten von Hannover bis ins Büro!

Dienstag, Juli 11, 2006

Personenunfall im Hämelerwald


"Aufgrund eines Personenunfalls verkehrt der Zug nur bis Hämelerwald. Ein Schienenersatzverkehr ist eingerichtet."
Seit einem Jahr hatte ich diese Ansage nicht mehr im Zug oder auf dem Bahnsteig gehört. Personenunfall ist die Chiffre für Selbstmord durch vor dem Zug springen. Zugverspätungen von 60-90 Minuten auf den Anzeigetafeln signalisieren manchmal so eine persönliche Katastrophe.
Der uralte Hämelerwald zwischen Lehrte und Peine ist so großflächig und blickdicht, dass sich entsprechend motivierte Personen bis auf wenige Meter den Gleisen nähern können, ohne dass sie von jemanden gesehen werden.

Mittwoch, Juli 05, 2006

Bulgarische Mafia

Der in Sofia geborene Schriftsteller und Herausgeber Ilija Trojanow beschreibt heute in einem Essay die kriminellen Strukturen in Bulgarien. Die nur halbherzige Polizei- und Justizreform wird von der EU-Spitze als ein Erfolg verkauft und damit entfällt ein bisheriger Hinderungsgrund für eine frühzeitige Aufnahme.
Zwischen 1999 und 2006 gab es mehr als 1.000 Morde in Bulgarien, die der lokalen Mafia zugeordnet werden. Die Polizei hat offiziell nie einen Fall aufgeklärt. Wie auch, schreibt Ilija Trojanow:
„Denn die Mafia in Bulgarien ist nicht Teil des Staates, sondern der Staat Teil der Mafia.“
(Ilija Trojanow "Die Puppe im Netz", taz vom 5. Juli 2006)
PS: Zum EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien habe ich in der rechten Spalte eine Umfrage gestartet. Bitte einer Aussage die Stimme geben.

Fussballkater

Von der Arbeit ging es nur sehr kurz nach Hause, um dort Laptop und Unterlagen abzulegen und schon ging es Richtung Stammkneipe, wo ich mit zwei Freundinnen das Halbfinale Deutschland –Italien anschauen wollte. Es war schon relativ knapp von der Zeit. Nach 20:30 Uhr sind die letzten Angestellten der Kaufhäuser zu Hause und so ist an einen Werktag nicht mehr viel Verkehr, gestern entsprechend der medialen Bedeutung des Spieles war sogar noch weniger Verkehr. Ich sah, dass sich in Kneipen und anderen Orten bereits Pulks von Fans versammelt hatten und den Vorberichten aus der ZDF-Arena lauschten. Viele waren einheitlich im weißen Deutschland-Shirt und allen möglichen und vor allen unmöglichen Accessoires in Schwarz-Rot-Gold gekleidet und „geschmückt“ (?).
Neben unseren offiziellen Fanbereich am Waterloo mit seinen mehreren 10.000 Menschen versammelten sich vermutlich noch viel mehr Menschen an Tausenden anderen Orten. Die Beflaggung der Autos und Häuser hat kontinuierlich weiter zugenommen. Es tauchen immer mehr sehr große deutsche Fahnen an den Fassaden auf. Fahnen mit mehr als einem Quadratmeter Fläche waren keine Seltenheit.
In meiner Stammkneipe saßen die üblichen Verdächtigen und meine beiden Freundinnen, die mir einen guten Platz freigehalten hatten. Hier waren keine grölenden Massen, sondern 15 Menschen, die gemeinsam mit dem Wirt ein Fußballspiel feiern wollten. Als ich eine spöttische Bemerkung über die Fahne auf dem Tisch machte bekam ich ein freundliches „Und du machst keine Bemerkungen!“ zu hören. Ob Deutschland oder Italien gewinnen würde, war mir keine Herzensangelegenheit, ich wollte unterhalten werden.
Das Spiel war dann zwischenzeitlich so wenig inspiriert, dass ich mit einer Bekannten mich über Hugenotten und Familienforschung unterhielt, bis mir deutlich gemacht wurde, dass wir störten.

Wir saßen im Hinterzimmer vor dem Familienfernseher des Wirts, den er für Großereignisse aus seiner Wohnung mitbringt. Im Hauptraum stand auf der Theke noch ein Laptop, auf dem das Spiel auch zu sehen waren. Die Bedienung verpasste nichts. Der Wirt machte einmal die schöne Bemerkung zur Theke. „Wie sieht es bei dir aus, fallen in deinem Spiel Tore?“.
Ab der 40. und wieder ab der 75. Minute wurde lautstark gelästert und die wahren Deutschlandfans litten. Wenn das Spiel nicht unterhaltsam ist, dann unterhält die Gruppe und dies tat sie gut.

Deutschland verlor durch zwei schnelle Tore in den letzten Minuten der Verlängerung. Ich brach sofort auf, da ich heute noch wichtige Arbeit zu erledigen habe. Auf den Straßen, den Bürgersteigen und vor allem an jeder Kreuzung war ein Betrieb, wie sonst nur während der Rushhour. Natürlich gab es auch hupende Autos mit und ohne italienische Flaggen, aber es waren vor allem nach Hause strömende Menschen, die der medialen Selbsthypnose erlegen waren, dass Deutschland dieses Spiel nicht verlieren kann und eigentlich schon Weltmeister ist.
Die Polizei hatte die Zufahrten zur Innenstadt abgesperrt, so dass sich bildende Autokorsos nicht mit den Menschenmassen der Fanbereiche in Konflikt kommen konnten.
Es war eine relativ ruhige Nacht.

Namensschilder

Als Mitarbeiter einer großen wissenschaftlichen Institution trage ich im so genannten Bibliotheksquartier, wie es alle anderen auch tun sollten, ständig gut sichtbar mein Namensschild. Schon mehrmals versäumte ich auf dem Weg in die Innenstadt zum Mittagessen oder auf dem abendlichen Rückweg zum Bahnhof das Schild abzumachen. Wenn ich dies dann merke, verschwindet das Schild umgehend in der Hemdtasche.

Mit meinem hellblauen Hemd und der schwarzen Aktentasche am Schulterriemen sehe ich für Außenstehende scheinbar sehr offiziell aus. Als ich gestern Abend auf den Bahnsteig ankam, ging eine kleine Gruppe auf mich zu und fragte höflich, ob der Zug nach Braunschweig denn pünktlich sein würde. Sie machten sich Sorgen, da Sie nur wenige Minuten zum Umsteigen haben würden. Ich konnte ihnen versichern, dass auf dieser Regionalbahnstrecke die Züge in der Regel pünktlich sind. Irritiert ging ich zum Ende des Bahnsteigs und sah plötzlich mein Namensschild.

Ahh, Sie hielten mich für einen Bahnbediensteten. Da kam die Gruppe noch einmal auf mich zu und stellte weitere Fragen zum Fahrplan. Im Gespräch wurde deutlich, dass dies eher seltene Kunden der Bahn waren.

Sonntag, Juli 02, 2006

Temperaturen in Hannover im Juni 2006

Nachtrag 2014: Weiter unten aktualisierte Abbildungen über das Wetter im Juni 2006 und im Juni 2007.

Als Hobbystatistiker führe ich diverse Datenbanken, deren Grundlage zum Teil aus meiner bisherigen Arbeit stammen oder aus Interessen der Schulzeit und des Studiums.
Wetterstatistiken werden nun schon seit etwa 1980 gesammelt. Meine Monatswerte (Temperaturen, Niederschlag, Extreme) für Hannover beginnen im Januar 1855 mit kleinen und großen Lücken in den Jahren 1873-78, 1903-1908 1938-39 und 1942-1947.

Im Juni habe ich nun auch die Tageswerte der Maximal- und Minimaltemperatur in Hannover (d.h. Flughafen Hannover-Langenhagen), wie sie vom Deutschen Wetterdienst veröffentlicht werden, zu sammeln. Dort werden für jede volle Stunde die Minimal- und Maximaltemperatur angezeigt.
Ich habe in der Regel hiervon nur das tägliche Maximum und Minimum aufgenommen. Ausnahmen ergeben sich, wenn ein Temperatursturz vorliegt. Dies geschah nach besonders heißen Tagen, denen abkühlende Unwetter folgten. In so einen Fall wurde die Tageshöchsttemperatur schon einmal um 0:00 gemessen (siehe 16.) und die Höchsttemperatur am Nachmittag war dagegen zwei Grad niedriger.

Der Monat Juni in Hannover.
Die Temperaturen waren sehr wechselhaft. Die lausig-kühle Witterung wurde erst in der zweiten durch angenehmere Werte abgelöst und am 10. Juni wurde der erste von insgesamt zehn Sommertagen (Höchsttemperatur 25 Grad und höher) erreicht. Die kontinuierliche Erwärmung mündete am 13. Juni in einen von zwei Tropentagen (Höchsttemperatur 30 Grad und höher).

Daraus wurde 2008 eine monatliche Rubrik, die zusätzlich auch noch die täglichen Messwerte der Sonnenstunden, Niederschläge und die Tagesmitteltemperatur darstellt.

- - - - -Nachtrag 2013: Aktuelle Darstellung mit Messwerten des DWD- - - - - 


und das gleiche für den Juni 2007
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Siehe auch:

Der Jahresbericht 2008 ist hier zu finden und hier geht es zu den Wetterberichten für alle Monate im Jahre 2008:

Der Jahresbericht 2009 ist hier zu finden und hier geht es zu den Wetterberichten für alle Monate im Jahre 2009:

Bela Rethy spricht Deutsch

Dem Livereporter vom ZDF gelang heute abend eine Stilblüte der Formulierkunst:
„Die Franzosen wirken körperlich und physisch überlegen“
(71. Spielminute Frankreich gegen Brasilien)

Samstag, Juli 01, 2006

Hannover hupt

Ich verhalte mich gerne antizyklisch und entsprechend fuhr ich heute, kurz nachdem das WM-Spiel Deutschland gegen Argentinien angepfiffen war, zu einem Supermarkt, um einen Teil des Wochenendeinkaufs zu erledigen. Bereits beim letzten Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft war ich nach dem 2:0 zum Einkaufen aufgebrochen und hatte festgestellt, dass es viele Menschen gab, die entweder dieselbe Hoffnung auf kurze Schlangen an den Kassen hatten oder den Medien-Hype ignorierten.
Es ist schon zu merken, dass viele Menschen vor einer Glotze sitzen und selbst im Laden hatte der Filialleiter einen Knopf im Ohr, um über ein kleines Radio das Spielgeschehen zu verfolgen, während er den Bestand eines Regals kontrollierte. An einer der zwei Kassen war auch der übliche Fußballkarneval zu sehen; hier mit einer Kassiererin mit Schwarz-Rot-Goldenen Zylinder.
Auf der Lister Meile war unerwartet viel los; ich musste mich sogar an das Radfahrverbot halten, da es sonst eine Slalomfahrt geworden wäre.

Wer war nun in dieser Fußgängerzone unterwegs und zu sehen?
(Regieanweisung: Mit Pathos:) Während Deutschland um den Einzug ins Halbfinale kämpfte.

Nach meiner Schätzung lag der Frauenanteil bei mindestens 70-80 Prozent. Männliche Lebewesen waren nur als Händler, offensichtliche Fremde (sprachen in einer mir nicht verständlichen Sprache), ein vermutlich schwules Paar und kleine Jungs in Begleitung ihrer Mütter zu sehen. Und dann gab es noch Rentner beiderlei Geschlechts auf einem Spaziergang. Im großen Eiscafé waren viele Tische besetzt und ich sah nicht einen Mann und viele glückliche Gesichter.

Da weder Stöhnen, noch Entsetzen oder Jubel aus den offenen Fenstern zu hören war, wußte ich, dass es immer noch 0:0 stand
Zur zweiten Hälfte war ich wieder zu Hause und schaute öfters mal in das Spiel hinein, aber die Wiederholung einer Folge der Simpsons war interessanter.
Deutschland gewann im Elfmeterschießen und ein befreiender Jubelschrei war von einem Haus auf der anderen Seite des Innenhofes zu hören.

(Die Erfinder des Fußball-Jubel-Autokorso: WM 2002 am Steintor in Hannover)

Mein Nachbar hat vor wenigen Tagen eine große Schwarz-Rot-Goldene an einem Besenstiel aufgezogen vom Balkon Richtung Straße hängen. Nun war er mit einer großen Glocke und vereinzelten Trillern einer Pfeife zu hören. Auch eine Art sich zu freuen und sich gleichzeitig lächerlich zu machen. In meiner ruhigen Wohnstraße hängen zwar mindestens so viele Fahnen, wie es Häuser gibt, aber es ist und blieb ruhig. Es dauerte nur wenige Minuten und dann waren hupende Autos von der viel größeren Ferdi-Walli zu hören und vereinzelte hupende Autos und Mopeds mit Fahnen fuhren durch meine Straße zur Ferdi-Walli um am Freudenkorso teilzuhaben. Das Spiel ist seit drei Stunden vorbei und noch immer sind manchmal hupende Autos zu hören.