Mittwoch, Juli 05, 2006

Fussballkater

Von der Arbeit ging es nur sehr kurz nach Hause, um dort Laptop und Unterlagen abzulegen und schon ging es Richtung Stammkneipe, wo ich mit zwei Freundinnen das Halbfinale Deutschland –Italien anschauen wollte. Es war schon relativ knapp von der Zeit. Nach 20:30 Uhr sind die letzten Angestellten der Kaufhäuser zu Hause und so ist an einen Werktag nicht mehr viel Verkehr, gestern entsprechend der medialen Bedeutung des Spieles war sogar noch weniger Verkehr. Ich sah, dass sich in Kneipen und anderen Orten bereits Pulks von Fans versammelt hatten und den Vorberichten aus der ZDF-Arena lauschten. Viele waren einheitlich im weißen Deutschland-Shirt und allen möglichen und vor allen unmöglichen Accessoires in Schwarz-Rot-Gold gekleidet und „geschmückt“ (?).
Neben unseren offiziellen Fanbereich am Waterloo mit seinen mehreren 10.000 Menschen versammelten sich vermutlich noch viel mehr Menschen an Tausenden anderen Orten. Die Beflaggung der Autos und Häuser hat kontinuierlich weiter zugenommen. Es tauchen immer mehr sehr große deutsche Fahnen an den Fassaden auf. Fahnen mit mehr als einem Quadratmeter Fläche waren keine Seltenheit.
In meiner Stammkneipe saßen die üblichen Verdächtigen und meine beiden Freundinnen, die mir einen guten Platz freigehalten hatten. Hier waren keine grölenden Massen, sondern 15 Menschen, die gemeinsam mit dem Wirt ein Fußballspiel feiern wollten. Als ich eine spöttische Bemerkung über die Fahne auf dem Tisch machte bekam ich ein freundliches „Und du machst keine Bemerkungen!“ zu hören. Ob Deutschland oder Italien gewinnen würde, war mir keine Herzensangelegenheit, ich wollte unterhalten werden.
Das Spiel war dann zwischenzeitlich so wenig inspiriert, dass ich mit einer Bekannten mich über Hugenotten und Familienforschung unterhielt, bis mir deutlich gemacht wurde, dass wir störten.

Wir saßen im Hinterzimmer vor dem Familienfernseher des Wirts, den er für Großereignisse aus seiner Wohnung mitbringt. Im Hauptraum stand auf der Theke noch ein Laptop, auf dem das Spiel auch zu sehen waren. Die Bedienung verpasste nichts. Der Wirt machte einmal die schöne Bemerkung zur Theke. „Wie sieht es bei dir aus, fallen in deinem Spiel Tore?“.
Ab der 40. und wieder ab der 75. Minute wurde lautstark gelästert und die wahren Deutschlandfans litten. Wenn das Spiel nicht unterhaltsam ist, dann unterhält die Gruppe und dies tat sie gut.

Deutschland verlor durch zwei schnelle Tore in den letzten Minuten der Verlängerung. Ich brach sofort auf, da ich heute noch wichtige Arbeit zu erledigen habe. Auf den Straßen, den Bürgersteigen und vor allem an jeder Kreuzung war ein Betrieb, wie sonst nur während der Rushhour. Natürlich gab es auch hupende Autos mit und ohne italienische Flaggen, aber es waren vor allem nach Hause strömende Menschen, die der medialen Selbsthypnose erlegen waren, dass Deutschland dieses Spiel nicht verlieren kann und eigentlich schon Weltmeister ist.
Die Polizei hatte die Zufahrten zur Innenstadt abgesperrt, so dass sich bildende Autokorsos nicht mit den Menschenmassen der Fanbereiche in Konflikt kommen konnten.
Es war eine relativ ruhige Nacht.

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