Samstag, 18. Februar 2006
Der zweite Tag begann mit räumlich getrennten Foren zu Aspekten der kulturellen Integration Europas. Ich habe mit etwa 40 anderen Personen das Forum Europäische Öffentlichkeit zwischen Wunsch und Realität unter der Leitung von Dr. Helga Trüpel (MdEP, Grüne) besucht.
Der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Ulrich K. Preuß von der Hertie School of Governance in Berlin begann seinen Vortrag mit dem Hinweis auf das sympathische Missverständnis, dass Kultur in Europa verbindend sei. Kultur sei eher von Dissoziation geprägt, da Religion in ihrer Ausprägung ein Teil der Kultur ist.
Wenn Öffentlichkeit als theoretisch-politische Kategorie betrachtet wird, dann ist dies prinzipiell Herrschaftskritik. Es geht um enlightment und den Wunsch nach einer gerechteren, verbesserten Regierung. Öffentlichkeit ist der Raum, in dem sich Herrschaft rechtfertigt. Auf Europa angewandt kommt ein Problem auf. EU-Normen treffen auf nationale Realitäten und Empfindlichkeiten, die zu öffentlichen Interessen führen und damit in einem Land Öffentlichkeit schaffen. Es gibt keine europäische Öffentlichkeit, denn die bisherigen Themen führten nicht zu Interessen in allen Ländern.
Der FAZ-Journalist Dr. Jürg Altwegg aus Genf, der von dort schweizer und französische Entwicklungen berichtet, sagte einleitend, dass aus der Forderung Kultur für Alle das flache Alles ist Kultur entstand. Die gute Seite ist, dass die Kultur im Feuilleton eine Debattenkultur geschaffen hat. Es gibt kein Bewußtsein für eine europäische Kultur. Die Angst vorm zwischenzeitlich sprichwörtlichen polnischen Klempner in Frankreich, steht die Ignoranz über französische Unternehmen (Medien) in Polen gegenüber. Der Wissensstand über andere Länder sinkt sogar, dies gilt auch für die unmittelbaren Nachbarländer. Er konstatiert auch ein schwindendes Bewußtsein unter den Intellektuellen für das Internationale. Debatten gehen nicht mehr über die Grenzen.
In der Diskussion wurden zwei Ziele bzw. Lösungsansätze formuliert. Zum einen meinte Prof. Preuß mit Ironie, dass ein pathologischer Befund als Ziel erreicht werden sollte. Es wird eine multiple Identität -in der Individualpsychologie Schizophrenie genannt- benötigt. Neben einer regionalen und nationalen Identität, sollte auch eine europäische Identität gepflegt werden. Als Lösungsansatz bietet sich eine bi-kulturelle Erziehung. Neben „seiner“ Kultur sollte jede Person eine weitere kennenlernen und dies meint nicht nur, dass er eine zweite Sprache beherrscht und theoretisch ein Land kennt, sondern sich damit real auseinandersetzt.
In der Mittagspause gab es die Gelegenheit, das Zisterzienser-Kloster Loccum (gestiftet 1163) zu besichtigen. Neben der bedeutenderen Abtei in Maulbronn (Hermann Hesse hat mit „Unterm Rad“ 1906 eines von vielen Denkmälern gesetzt) ist dies das einzige Zisterzienser-Kloster, in dem die verschiedenen Gebäude dieser ursprünglich geschlossenen Einheit erhalten sind.
Die interessante Führung wurde durch die Küsterin der Klosterkirche vorgenommen. Es war aber so viel Fachwissen anwesend, dass die zunächst nur positive Geschichte von Bernhard von Clairvaux, der das Modell der Zisterzienser massiv propagierte, um seine unrühmliche Rolle bei der mörderischen Verfolgung von abweichenden religiösen Meinungen ergänzt wurde.
Am Nachmittag gab es ein Podiumsgespräch zum Thema Europa als Kulturraum – Kulturpolitik für Europa.
Christa Prets (MdEP) berichtete aus der Förderung von Kulturprojekten durch die EU und verwies darauf, dass es zunehmend nationale Kulturräume gibt. Alle Förderungen zeigen im Ergebnis die Vielfalt von Kultur in Europa. Eine Aufgabe der Kulturpolitik ist es, daran zu erinnern, dass bereits etwa zwei Prozent aller Beschäftigten im Bereich cultural industries tätig ist. Dies sind neben den Künstler alle Erwerbstätigen im Umfeld von kulturellen Einrichtungen.
Der Vorsitzende des Kulturausschusses des Deutschen Städtetages und Bürgermeister von Görlitz Ulf Großmann verwies auf die Bedeutung grenzüberschreitender Kulturprojekte. Diese seien der Anker einer europäischen Kultur. Beispiele hierfür finden sich zum Beispiel im Norden des bottnischen Meerbusens zwischen Schweden und Finnland, in der Kooperation zwischen Coimbra (Portugal) und Salamanca (Spanien) und schließlich im Kulturraum Görlitz-Zgorzelec. Mit dem Dreiklang Sprachen – Erinnerungen – Visionen werden stets neue europäische Kulturräume geschaffen.
Der Generalsekretär der Europäischen Kulturstiftung (Amsterdam) Gottfried Wagner erinnerte daran, dass Europa die größte Dichte von kulturellen Ausprägungen hat. Dabei hätte aber bisher noch kein enlargement of mind stattgefunden. Europäische Kulturpolitik zeigt sich in einem Europa der Projekte. Wichtig für die nahe Zukunft sei das Jahr 2008, dass als Europajahr des interkulturellen Dialogs gefeiert werden soll.
Dr. Lutz Nitsche von der Kulturstiftung des Bundes berichtete aus seiner Arbeit der Förderung. Die Bundesstiftung fördert zum Beispiel Kulturprojekte im Kosovo, die Serben und Albaner zusammenbringen. Eine nationale Stiftung muss in Europa tätig sein.
Edda Rydzy vom Netzwerk Kulturstädte Europas fokussierte auf die deutsche Kulturhauptstadtsbewerbung für 2010. Sie war verantwortlich innerhalb eines Projektes, dass alle deutschen Bewerberstädte mit Bewerbern aus Ungarn zusammenführte. Diese Konkurrenz der Bewerberstädte mündete in die Budapester Erklärung für kommende Kulturhauptstädte. Ein Motto der Kulturprojekte bezieht sich auf die Vielfalt. Du unterscheidest dich und bereicherst mich damit.
Kultur und Politik sind schwer zusammenzufügen, denn ein Politiker wird nicht für seine Kulturförderung gewählt, aber Politiker kritisieren Künstler und ihre Lobbyisten nur selten, da diese professionelle Multiplikatoren für ihre Interessen sind.
Am Abend gab es einen Empfang mit Ansprachen, ein fantastisches Büfett und abschließend ein Orgelkonzert in der Klosterkirche mit Werken von Buxtehude, Rheinberger, Merkel, Mozart und Reger.
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