Mittwoch, April 05, 2006

Aufreger der Woche: Hauptschulen

Diese Demagogen aus der bürgerlichen Elite scheuen sich nicht Fakten so weit zu verdrehen, dass ihre Aussagen besser als Lügen zu bezeichnen sind.
In Deutschland spielen die Populisten Dr. Edmund Stoiber (Dr. des Populismus?) und Jörg Schönbohm (CDU-Innenminister von Brandenburg) einmal mehr das hässliche Spiel der angeblich gescheiterten Integration unserer Zuwanderer. Es ist dies üble Ausländerfeindlichkeit knapp über Stammtischniveau.

Hintergrund der aktuellen Propaganda ist eine Erklärung des Lehrkörpers der Rütli-Oberschule Berlin-Neukölln, dass sie mit den Schülern ihrer Hauptschule nicht mehr zurecht kommen und deshalb um eine Schließung ihrer Schule als Hauptschule bitten, die dann in neuer Schulform wieder gegründet werden kann. Die Aggressionen in der Schule seien nicht mehr zu kontrollieren und es gebe verbale und tätliche Auseinandersetzungen mit Lehrern. Berlin-Neukölln hat einen Anteil von Kindern aus Zuwandererfamilien, die sich besonders an den Hauptschulen konzentrieren. Im Fall der Rütli-Schule haben mehr als ¾ der Schüler einen Elternteil, der zugewandert ist.
Schönbohm schlägt Erziehungsheim und Jugendgefängnis gegen kriminelle Schüler vor und Dr. Stoiber hat mal wieder die Gelegenheit von Ausweisung und Abschiebung zu faseln. Die bayrische Staatsregierung hat jetzt beschlossen, dass ausländische Kinder dazu gezwungen werden, vor der Einschulung einen Deutschtest zu machen und bei nicht bestehen zu einem Jahr Kindergarten mit Pflichtunterricht in deutscher Sprache gezwungen werden.

Also, dazu muss Einiges klargestellt werden.
Es gibt eine relativ objektive Ziffer, um Gewalttätigkeit an Schulen zu messen. Alle Insassen der Schule sind dort versichert. Schadensfälle müssen dem Bundesverband der Unfallkassen gemeldet. Der hat eine Statistik der „Aggressionsverursachten Unfälle (Raufunfälle) je Tausend Schüler“. Hier sind die Zahlen für die Jahre 1993 bis 2003 (letzte veröffentlichte Statistik): 1993 : 15,5 Fälle/1.000 Schüler. Dieser Wert sank bis 1995 auf 13,3 Fälle/1.000 Schüler, stieg dann bis 1997 auf 15,6 Fälle/1.000 Schüler an und sank dann bis 2002 auf 13,2 und 2003 sogar auf 11,3 Fälle/1.000 Schüler.
Diese Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Raufunfälle nehmen ab.

Vermutlich ist es wieder einmal mehr ein Fall der vor allem aus den privaten Medien gespeist wird. Die phantasierten ja auch eine Angst vor der real existierenden Kindermördern herbei, obwohl in den letzten Jahren nur noch ein Bruchteil von solchen Kriminalfällen auftritt, verglichen mit den 60-er und 70-er Jahren. Wir erreichen langsam das niedrige Medienniveau der USA, in dem jeder durch Menschen bedingte Todesfall als eine echte, wichtige Nachricht durch die Zeitungen und privaten Fernsehsender gescheucht wird. Es wird Angst erzeugt und die konservative Politik findet es gut, wenn die Bürger haben (vergleiche die Argumentation in „Bowling for Columbine“). Unter dem Schild der Angst können weitere Einschränkungen der bürgerlichen Rechte und umfassende Kontrollen des täglichen Lebens vorgenommen werden.

Nach der Rütli-Schule haben andere Hauptschule ihre Solidarität mit der Schule bekundet und auch auf ihre Probleme verwiesen. Unser Schulsystem konzentriert lernunwillige und lernschwache in einer Schule und diesen Jugendlichen wird regelmäßig vermittelt, dass sie in Deutschland nie eine Chance haben werden, mehr als eine Hilfsarbeit auszuüben. Die Wut dieser Schüler, dass ihnen mit 16 bereits gesagt wird, du hast keine Zukunft wird dadurch verständlicher, wenn auch nicht akzeptabler.
Aktuell hat der Lehrkörper einer Sekundarschule in Gardelegen, einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt auch die weiße Fahne aufgezogen und vor der Misere in ihrer Schule kapituliert. Nur hier gibt es einen Unterschied der Anteil der deutschen Kinder und Jugendlichen liegt bei 100 Prozent. Denn es ist Chancenlosigkeit, die Schüler dieser Schulform aggressiv macht.

Und dann zur Abschiebeforderung von Dr. popul. Stoiber. Hu, hu, diese Kinder und Jugendlichen sind in der Regel in Deutschland geboren und haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Wohin sollen sie gehen? Der träumt wohl den Traum der kolonialen Elite vor 100 Jahren. Problemfälle werden Richtung Australien oder Deutsch-Ostafrika geschickt. Ironisch möchte ich anmerken, dass außer Mallorca keine Kolonien mehr bestehen ...

Zum Zwang zu Sprachprüfungen und Sprachkursen wäre anzumerken, dass dies seit mehreren Jahren in Niedersachsen gängige Praxis ist, aber hier gibt es keine so aggressive Bezeichnung dafür. Alle (und nicht nur ausländische) Fünfjährigen werden sprachlich getestet und erhalten im Bedarfsfall in einer Vorschule Deutschunterricht. Ein interessantes Ergebnis der ersten Testjahrgänge ist, dass die höchsten Durchfallquoten nicht in den Stadtteilen mit den höchsten Anteil an Ausländern zu finden waren. Ein Viertel bis ein Drittel der deutschen Schulanwärter in Hannover haben deutliche Sprachdefizite. Dies ist zum einen den „deutschen“ Spätaussiedlern aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion geschuldet, die bis zum Kindergarten in einem russischen Ghetto aufwachsen können, aber auch wieder mal den Medien und dem Leistungsdruck unserer modernen Gesellschaft. Selbst wenn beide Eltern in Deutschland als Deutsche geboren sind, befähigt sie dies nicht automatisch zur Aufzucht von Kindern. Die Psychologen, welche die Test machten und die ungewöhnlichen Ergebnisse kommentierten, verweisen darauf, dass es viele Familien gibt, in denen nur sehr wenig untereinander gesprochen wird. Die Kinder wachsen in einer stummen Umwelt auf und lernen ihre Sprache über Fernsehen und andere Kinder. Geringer Sprachschatz, wenig Abstraktionsvermögen und keine Grammatik können eine Konsequenz sein.

Die Lösungen zu diesen Problemen liegen auf der Hand.
Aufgabe des dreigliedrigen Schulsystems und stattdessen eine Gesamtschule bis zum 8. Schuljahr. Und im Vorfeld mindestens im Jahr vor dem Schulbeginn kostenloser Kindergarten.

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