Mittwoch, April 19, 2006

Tschernobyl – Chernobyl : Tücken der Opferstatistik

Wir nähern uns den 20. Jahrestag der Atomkatastrophe von Tschernobyl – Chernobyl und berufene und sich berufen fühlende Institutionen präsentieren die gesamte Bandbreite von Meinungen zur bisher größten Katastrophe der zivilen Atomtechnik.
– Hier steht kein Verweis auf Wikipedia, da dort AKW-Apologeten und AKW-Kritiker den Artikel zu Tschernobyl permanent verändern. Gestern war der Artikel von den AKW-Befürwortern zu lesen, doch heute ... Ähnliches gilt für andere Atomartikel in Wikipedia. LEIDER!

Es wird gerne auf die UNO verwiesen und das in einer UN-Studie die bisherigen und zukünftigen zusätzlichen Todesfälle sich auf 4.000 Fälle summieren werden. Es ist dies keine objektive Zahl, denn es ist nicht die UNO, sondern die IAEA in Wien; die Internationale Atomenergiebehörde deren erklärtes Ziel die Förderung der friedlichen Atomtechnik ist. Es ist also eine Interesse geleitete Zahl; „es war schlimm, aber beherrschbar“.
Die Zahl von 4.000 Opfer wäre erschreckend genug, aber selbst diese Zahl basiert auf einer fehlerhaften Pressemitteilung zu einen offiziellen Bericht über Tschernobyl. Die IAEA geht selbst von 9.000 Opfer aus. Interessant ist es, zu registrieren, wer die falsche 4.000, die von der UNO korrigiert wurde, weiter in den Medien verwendet. Es sind dies die üblichen verdächtigen AKW-Apologeten.
Auf der anderen Seite gibt es hysterischen Katastrophismus zu bemerken und die Opferzahlen steigen auf bis zu eine Million. Merken den die beiden extremen Positionen nicht, dass sie einen Zynismus mit Zahlen pflegen. Es geht um Menschen, die gestorben sind und vor allem um viele Menschen, die bereits durch die radioaktive Belastung erkrankt sind. In einem Bericht auf ARTE (18.04.2006 21:45 Die Atomfalle) wurde u.a. aus einer Gesundheitsstation in der Ukraine berichtet, wo aktuell bei Kindern (alle nach der Katastrophe geboren) eine Strahlung von vielen Hundert Becquerel festgestellt wurde.

Es gibt wenige sichere Zahlen über die Katastrophe, da Vertuschung die erste Pflicht der sowjetischen Krisenmanager war.
Es ist bekannt und bestätigt, dass etwa 800.000 Liquidatoren aus allen Teilen der Sowjetunion nach Tschernobyl kommandiert wurden, um den atomaren Brand zu löschen, bei der Evakuierung genauer Umsiedlung von 350.000 Menschen zu helfen und den ersten Betonsarkophag über den GAU zu errichten. ARTE und WDR zeigten neue Bilder von den ersten Tagen der Katastrophe. Die Liquidatoren wurden in Gruppen mit Material (u.a. Blei) auf dem Dach des AKW abgesetzt, liefen im Laufschritt zur Gebäudekante und warfen von Hand oder mit Schaufeln ihre Materialien, welche die Kettenreaktion bremsen sollten, in das Atomfeuer. So ein Einsatz dauerte für eine Gruppe 60-120 Sekunden. Danach wurden diese Liquidatoren zurück in ihre Heimat geschickt. In diesen 2 Minuten hat jeder Helfer das Hundertfache der maximalen Jahresdosis an Radioaktivität erhalten.
Es gibt eine weitere Quelle, die das Leid dokumentiert. Aktuell zahlt die Regierung der Ukraine an 17.000 Familien eine Hinterbliebenenrente, weil der Familienvater an den Folgen seiner Arbeit als Liquidator gestorben ist. Keine Regierung hat ein Interesse so eine Zahl zu erhöhen. Hinzu kommen weitere 107.000 Liquidatoren in der Ukraine, die Frühinvalidenrente beziehen.
Sowjetische Statistiken mögen angezweifelt werden, aber eine grundlegende Zahl hat sich zum negativen verändert. Die Lebenserwartung für Männer ist seit der Vor-Tschernobylzeit in Russland gegen den internationalen Trend anderer Industriestaaten um 7 Jahre gesunken. Der Zusammenbruch der Sowjetunion (und ihres staatlichen Gesundheitssystems und die Explosion der HIV-Epidemie mögen eine gewissen Rolle spielen, aber die grundlegende Exzessmortalität durch tödliche Erkrankungen, die auf die extreme radioaktive Belastung von mehreren 100.000 Liquidatoren basieren ist einer der wesentlichen Gründe.

Übrigens gilt meine Bemerkung über sowjetische Atommanager auch für westeuropäische Atommanager. Alle größeren Schäden wurden bisher von außerhalb eines Atomkraftwerkes gemeldet – im Atomkraftwerk geschehen angeblich nur Pannen ohne Gefährdung der Bevölkerung. Rund um Krümmel und Geesthacht (östlich von Hamburg) ist noch heute erhöhte Radioaktivität zu messen, obwohl dort angeblich nie ein erster Zwischenfall aufgetreten ist.
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siehe auch:
23. April 2006 Euphemismus Kernkraft
25. April 2006 Tschernobyl: Erinnerungen aus Hannover
27. April 2006 Wikipedia-Skandal Atomkraft

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