Freitag, September 15, 2006

Diplo Juli 2006

Nach langer Pause möchte ich einmal wieder auf lesenswerte Artikel in der monatlichen LE MONDE diplomatique verweisen. Es ist ja nicht so, dass ich die Zeitung nicht mehr lese und schätze, aber es können nur retrospektive Hinweise erfolgen, da erst nach dem Erscheinen einer neuen Ausgabe, die Texte des Vormonats vollständig im Internet veröffentlicht werden. Dennoch sind diese “alten” Artikel gehaltvoller als zum Beispiel ein alter Artikel in der ZEIT, da in der Diplo einzelne Themen und Länderdarstellungen nur 1-2 im Jahr in stets ausführlichen Berichten mit Fußnoten erscheinen. Lange Vorrede und jetzt zu meinen Empfehlungen:
  • Anne Vigna beschäftigt sich journalistisch und politisch mit nachhaltigem Ökotourismus. Sie schreibt über einen Etikettenschwindel, der sich zur Zeit zum einen im Umfeld der historischen Mayastadt El Mirador, Guatemala und der Inselwelt vor der Küste von Baja California, Mexico abspielt. In beiden Gebieten soll eine Tourismusindustrie aufgebaut werden. Die Planer schwärmen von 120.000 (Guatemala) bzw. Millionen zahlungskräftige Reisende in neue Destinationen des Ökotourismus. In Guatemala wird von den Ureinwohnern befürchtet, dass der Bau einer Verkehrsinfrastruktur ihr Gebiet erschließt, aber die sensible Umwelt zerstört. Die Archäologen in El Mirador, das zur Zeit nur in mehrtägigen Fußmärschen zu erreichen ist, müssen zum Beispiel zur Zeit ihren täglichen Bedarf noch per Hubschrauber einfliegen. Eine Versorgung von einer großen Zahl von Touristen ist nur von außen möglich. In Baja California entsteht das Projekt Paraíso del Mar (Meeresparadies) dürfen Mangrovenwälder abgeholzt werden, obwohl die UNESCO das Gebiet in die Liste der Biosphärenreservate aufgenommen hat.
  • Die Demographin und Sinologin Isabelle Attané beschreibt eine Idiotie aus einer Männergesellschaft, die einen nur schmunzelnd den Kopf schütteln lässt. In China und einigen Staaten Indiens leisten sich viele Familien in einer frühen Phase der Schwangerschaft eine Geschlechtsbestimmung und lassen weibliche Föten abtreiben. Eine andere Form der Selektion ist die systematische Vernachlässigung von weiblichen Säuglingen. Die Mädchensterblichkeit ist in China 28 Prozent höher als die Jungensterblichkeit. Biologisch gibt es einen leichter Überschuss von Jungen über Mädchen. Durch selektive Abtreibungen werden zum Beispiel in der Provinz Guangdong, China 138 männliche Neugeborene je 100 weibliche Neugeborene gezählt. Nicht ganz so extreme Werte gibt es aus den beiden indischen Staaten Punjab (126) und Haryana (125) sowie aus Armenien (120). Diese Geschlechtsbestimmung ist seit Jahren offiziell verboten, wird aber im Stillen weiter betrieben. Diese wissenschaftliche unterstützte Selektion findet nun seit einer Generation statt und die Konsequenzen sind offensichtlich. Die Heiratsfähigen und -willigen in den genannten Territorien finden in ihrer Heimat nicht genügend Partner. Eine Lösung ist eine Ausweitung der Heiratsmigration. Junge Frauen aus Vietnam finden Partner in China und Taiwan, womit das Problem des Frauendefizits verlagert und verteilt wird. Zum Schmunzeln ist die Konsequenz dieser familiären Politik. Weniger Frauen gleich weniger Kinder, die wiederum weniger Mädchen gebären. Oder wie Amin Maalouf formulierte “Auto-Genozid einer frauenfeindlichen Gesellschaft”.
  • Der letzte Krieg in Europa ist gerade einmal sieben Jahre her, Potentiale für weitere Kriege liegen in übersteigerten Nationalvorstellungen in Südosteuropa. Über das aktuelle Problem Kosovo und die Debatten über Großalbanien und Großserbien geben Jean-Arnault Dérens und Laurent Geslin einen kurzen Überblick.
  • Die belgische Journalistin Colette Braeckman von der Tageszeitung Le Soir aus Brüssel berichtet über die Ausplünderung des Kongos. Der Staat Kongo ist schwach bis nicht existent und es gibt viele Interessenten, die mit diesem Zustand für sie profitable Geschäfte machen können.
  • Das religiös begründete Konflikte im nördlichen Europa weiter existieren, wird am oft dargestellten Beispiel Nordirland durch die Journalistin Cédric Gouverneur beschrieben. Das Friedensabkommen von 1998 hat zu keiner Annäherung geführt und die zivile Trennung von katholisch bzw. Protestantisch dominierten Viertel hat zu mehr Schutzmauern zwischen Ortsteilen und mehr staatlichen Einrichtungen, die separat für beide Gruppen aufgebaut wurden geführt. In einer Umfrage unter 18 bis 25-Jährigen beider Seite gaben durchschnittlich 62 Prozent an, dass sie noch nie mit einem Jugendlichen “von drüben” gesprochen haben.
Viel Spaß beim Lesen! Leider sind die exzellenten Karten, Graphiken und Fotos nicht in der Internetversion zu sehen.

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