Musik hat eine große Bedeutung für mein Leben. Zuhause läuft im Hintergrund ein Radio oder eine von mir aufgelegte CD oder Schallplatte. Musik ist dabei oftmals ein Stimmungsverstärker; vor einem freudig erwarteten Termin lege ich Partymusik auf und wenn ich Ruhe brauche zum Beispiel zum Formulieren von Texten, dann schafft entsprechende Musik die notwendige Stimmung für das konzentrierte Arbeiten.
Wie schon beim Kino muß ich leider feststellen, dass die Zahl der besuchten Konzerte und neu angeschafften Musikaufnahmen sich 2005 deutlich reduziert haben.
Ich habe neun Gruppen in Konzerten gehört und war auf der größten Musikveranstaltung des Jahres. Frank London’s Klezmer Brass All Star (USA) waren mir vor dem Konzert nur mit einem Titel bekannt, der mich aber sehr neugierig machte. Seitdem ich 2004 zweimal die 17 Hippies aus Berlin erlebt habe, ist Klezmer eine Neuentdeckung für mich. Kombiniert mit der energischen Musik aus Südost-Europa entstehen schweißtreibende Stücke.
2004 gastierte der Evangelische Kirchentag in Hannover und ich hörte mir dort zwei sehr unterschiedliche OpenAirConcerts vor der Marktkirche an. Der Multiinstrumentalist Djamel Laroussi, Algerien/Paris zeigte Spielfreude und mischte aktuelle nordafrikanische Rhythmen mit den Klängen aus dem französischen Babylon (=Paris). Es gab einen interessanten Eklat. Es war Kirchentag und er kündigte auf Deutsch an, dass das folgende Lied eine Lobpreisung Gottes sein würde. Tja Laroussi ist Muslim und so tauchte viel allahu akbar in seinem Song auf. Dumme Christen brauchten einige Zeit und unter lauten Protest mit vom Ärger verzogenen Gesicht verließen Sie den Marktplatz. Selbst schuld. Die haben noch etwas von wahren Ökumene gehört.
Das Sahnestück gab es einen Tag später als die NDR Jazz-Bigband, Hannover aufspielte. Sie haben einen 90-Minuten-Set von Stücken von Frank Zappa einstudiert. Ich habe ihn leider nie live erleben können, aber durch die lustige letzte zu seinen Lebzeiten erschiene CD vom Meister „The Yellow Shark“ hatte ich eine Vorstellung von dem, was mich erwartet. Wo ich die NDR-CD her, dass war zum Schreien gut!
Unser Weltmusikfestival Masala hatte bereits Laroussi präsentiert und hatte auch eine Bühne auf dem EXPO-Park Sommerfest aufgebaut. Es war ein widriger Tag mit dichten Wolken und mehreren Wolkenbrüchen. Aber ich wollte Musik hören. Zunächst gab es Misturas eine Band von Zuwanderern nach Hannover aus Brasilien. Ich kenne die Sängerin von verschiedenen anderen Bands, wo sie vieles zwischen Bossa Nova und Jazz singt. Nicht unbedingt meine Musik. Doch dann kam Vitamin X, Jamaica/Berlin, die sehr altmodischen Reggae spielten. OK, es wurden auch die modernen Varianten gespielt, aber der Roots-Reggae von Bob Marley ist nun mal etwas besonderes. Die Musik war so beschwingt, dass obwohl nach 20 Minuten Konzert ein Wolkenbruch niederging, der Platz vor der Bühne sich nicht leerte. Wenn die Band wegen des Wassers nicht aufhört, dann besteht auch kein Grund mit dem Tanzen aufzuhören, notfalls als Wasserballett.
Ein sehr ungewöhnliches Konzert gab es dann im Pavillon. Rikki von der Insel Amami, Japan war zu ihren einzigen Europa-Konzert eingeflogen. Die Frau konnte keine europäische Sprache und verlas zwischen den Stücken ihr gereichte Zettel, die mit viel Phantasie, als eine Art von Englisch zu verstehen war. Was war das bloß für eine Musik. Während des Masala-Festival lass ich mich gerne auf das akustische Äquivalent eines Blind Date (wäre dann ja ein –Vorsicht Neologismus- Deaf Date) ein. In der Ankündigung wurden in der Ankündigung als Shimauta Gesang bezeichnet. Unsere Harmonien haben nichts mit dieser Musik zu tun. Die Frau hat ein Stimmvolumen und singt dabei zu einem dreisaitigen Instrument lange Erzählungen. Es war Gänsehautmusik, die sehr gewöhnungsbedürftig ist und die ich mit nichts vergleichen kann. Es ist eine Mischung aus anstrengenden und hypnotischen Stücken, wie Sie in Europa zum Beispiel auf Medulla von Björk zu hören sind. Dies ist kein musikalischer Vergleich, sondern nur der Verweis darauf, dass auf der genannten Scheibe Stücke sind, die schnell übersprungen werden und Stücke, die zu Ohrwürmern werden.
Und das nächste Konzert war Party. Zap Mama, Belgien/Zaire spielten auf. Seitdem Marie Daulne sich von den anderen Frauen getrennt hat, wird unter diesen Namen kein a cappella mehr geboten, sondern eine solide Funk & Soul Music. Nur selten kommt die Verspieltheit der früheren Band zum Vorschein. Eine Band zum Abtanzen.
Tja und Anfang Juni erfuhr ich, dass Anfang Juli in London LIVE8 veranstaltet wird. Als Madonna ihre Teilnahme bestätigte, war ich sofort im Reisebüro und kaufte mein Flugticket. Homestead International vermittelte mir ein Zimmer und so begann ein freudiges Warten. Es sollte ein freies Konzert sein, doch im Rahmen von Crowd Control wurden doch Ticket ausgegeben. Nur leider gab es dabei ein unüberwindliches Problem. Die Tickets wurden verlost an alle, die eine SMS an eine Londoner Nummer schickten. Klingt ganz fair, aber diese Nummer konnte nur aus dem britischen Telefonnetz angewählt werden. Europeans (die Engländer fahren ja nach Europa, wenn Sie ihre Affeninsel verlassen!) waren von Ticket ausgeschlossen. Mir war klar, dass bei erwarteten 250.000 oder mehr Besuchern sich auch eine Lösung für uns Europäer finden würde und ich hatte auch Recht. Ich reiste zwei Tage vorher an und ging auch gleich zum Hyde Park, um festzustellen, wie und wo ich das Spektakel erleben könnte. Wirklich ärgerlich war, dass das Festivalgelände nicht nur durch einen Zaun (das war zu erwarten) gesichert war, doch dies war ein drei Meter hoher Sichtschutzzaun. Ich verließ mich auf die Menschenmassen und das irgendeine Lösung gefunden wird. Einen Tag vor dem Konzert war ich am späten Nachmittag im Bereich der Einlasskontrolle und gehörte zu einer Gruppe von etwa 500 Menschen (viele mit Ticket, die auf den nächsten Tag warteten), die sich den Soundcheck anhörten. Auf dem Platz wurde noch gearbeitet, aber immer wieder war die riesige Bühne frei einzusehen und so erlebten wir als Soundcheck das komplette Set von Madonna, die in strahlenden Weiß zur untergehenden Sonne sang. Und dann kam das Gerücht auf. Gleich kommt Pink Floyd, gleich passiert es. Nach mehr als 24 Jahren würden Roger Waters, David Gilmore, Nick Mason und Richard Wright noch einmal zusammen ihre Stücke spielen. Das Warten war eine köstliche Zeit. Neben mir stand ein junger Portugiese und begann zu schwärmen. Er war nur wegen Pink Floyd eingeflogen. Ich sagte ihn, was ich durch mein Fernglas sehen kann und dann war klar, jetzt geht es los.
Das dieser Soundcheck, es wurde das ganze Set des kommenden Tages einmal durchgespielt, etwas besonderes war, zeigte sich an den Reaktionen der Bühnenarbeiter. Eben noch fuhren LKWs und überall war Aktivität, doch für dreißig Minuten wurden die Arbeiten eingestellt. Ich habe Pink Floyd gehört und gesehen!
Dann am nächsten Tag LIVE AID, Western World. Es dauerte, bis ich einen guten Standort mit Blick auf eine Leinwand und deutlichen Sound gefunden hatte, doch wie erwartet, waren wir Zehntausende, die sich im Hyde Park ohne Ticket eingefunden hatten. Ich war deutlich vor Beginn der Show auf einen kleinen Hügel und um mir herum konnte ich Französisch, Deutsch und Englisch hören. Große Picknickkörbe waren dabei (wären auf dem Gelände nicht erlaubt gewesen) und natürlich Bier ohne Ende. Paul McCartney war nur gut, weil es der Anfang war. U2 war spitze. In London habe ich bereits mehrmals erlebt, dass viel mehr Menschen öffentlich singen (und ich meine nicht nur Mitsingen bei einem Konzert). Nun hier wurde mitgesungen, aber so vielstimmig! „It’s A Beautiful Day“, „One“. Es war groß. Dann traten Coldplay auf, wieder wurde viel gesungen, doch was ist so besonders an dieser Band? Sir Elton John war OK. Nach diesen Stück machte ich mich auf den Weg, einmal das gesamte Festivalgelände zu umrunden. Zum einen wollte ich mal sehen, ob es einen noch besseren Standort gibt und zum anderen, wollte ich natürlich auch sehen, wie die anderen Menschen ohne Ticket feiern und mitfeiern. Der Hyde Park ist groß, das Festivalgelände riesig und ich begab mich ohne es vorher zu wissen auf einen viele Kilometer langen Fußmarsch. Dido und die Stereophonics hörte ich auf dem Weg. Bei REM blieb ich wieder stehen, aber am Odeon war zu viel Nebengeräusch und deshalb vollendende ich meinen Rundgang und ging wieder zu den kleinen Hügel. Hier erlebte ich Travis und dann den Organisator Sir Bob Geldof, bei Annie Lennox hatte ich schließlich genug und außerdem waren mir zu diesem Zeitpunkt zu viele der anderen Zuhörer bereits zu betrunken. Ich hatte bis dahin ausschließlich Wasser getrunken. Ich beschloß zu meinen Unterkunft zu fahren und in einer Eckkneipe den Rest des Konzertes auf einer Großbildleinwand mir anzuschauen. Robbie Williams war die Krönung des Abends, die folgenden Who waren ein Blick ins Museum und als dann Pink Floyd anfing, war der Abend leider vorbei. Die letzte Runde war bereits vor dem Konzertbeginn eingeläutet und während des zweiten Stückes gab es die verbale Aufforderung nach Hause zu gehen. Kurz darauf wurden TV und Stereo ausgestellt. Das war es. Nichtsdestotrotz. Das war ein besonderer Tag.
Das nächste Mal hörte ich erst wieder öffentliche Geräusche im Rahmen der Reincarnation, der größten deutschen Technoparade. Ich stand mit Schwester, Schwager und Nichte an der Straße. Ich hatte darauf bestanden, dass keiner Ohrenschutz mitnimmt. Denn das muss man gehört und gespürt (Zwerchfell!) haben. Ich spreche hierbei gerne von einem Zoobesuch, auch wenn nicht klar ist, ob wir die Besucher sind, oder die Menschen auf den Wagen mit den dröhnenden Geräuschen.
Ein Kleinkunstkonzert erlebte ich mit der lokalen 2-Mann-Formation Männer Angstfrei einen Monat später. „Kleines Hannoverlied“ und die „Ballade vom kleinen Torben“ sind wahre Perlen. Die Texte sind leider zu oft zynisch, aber es war ein rundherum lustiger Abend mit einem langen Pausengespräch mit Peter Düker, dem Texter und Sänger.
Für November war wieder eine Partyband angekündigt. Los de Abajo, Mexico spielten zum zweiten Mal in Hannover. Ich hatte Sie vor mehreren Jahren schon erlebt und wußte, das dies ein Abend für Turnschuhe werden würde. Die Band ist gut (musikalisch, wie auch in der Bühnenpräsenz), doch ihr Tontechniker ist taub!. Zunächst stand ich direkt vor der Bühne, wo die Instrumente direkt oder über die Monitorlautsprecher zu hören sind. Im Hintergrund war der Krach im Gesamtsaal zu hören. Mein tanzen drängte mich immer wieder und weiter von der Bühne ab und schließlich stand ich im Schallkegel der linken Boxenformation. Das war Krach. Total übersteuert, der Versuch Boxen zu zerstören. Es klang fast so schlecht, wie ein Konzert in Ghana. Nach der Pause suchte ich einen neuen Standort, doch selbst direkt vor dem Mischpult (hier sollte der beste Sound sein) war es Krach. Es war also Absicht. Dennoch eine tolle Band zum Tanzen.
Gleich am nächsten Abend war ich bereits im nächsten und wie sich dann herausstellte auch letztem Konzert des Jahres 2005. Auf der Bühne stand die Ton Steine Scherben Familie. 1984 hatten sich die Scherben aufgelöst und Rio Reiser begann seine kurze Solokarriere bei einem Major Label. Im Jahre 21 danach formierten sich die Überlebenden (es gab zwischenzeitlich einen weiteren Toten) und hatten ein Programm von Ton Steine Scherben Liedern zusammengestellt. Rio Reiser ist nicht zu ersetzen und so sangen abwechselt sechs aus der Familie die verschiedenen Stimmungen. Es war eine Mischung aus Konzert und Gottesdienst, denn die Klassiker „Der Traum ist aus“, „Der Turm stürzt ein“, „Keine Macht für Niemand“ und viele weitere wurde von der Mehrzahl der Gäste (including me) lauthals mitgesungen. Neue linke Volksmusik, ach tat das gut.
Als neue Tonträger finden sich in meinem Regal die sechs Scheiben der Beatles, die zwischen 1966 und 1970 veröffentlicht wurden. Nun habe ich das gesamte, Drogen beinflusste Repertoire der Band von "Revolver" bis "Let It Be".
Vor zwei Jahren entdeckte ich für mich Lounge Music. Meine Schwester hatte bei 2001 eine Doppel-CD gekauft. Als ich sie fragte, kennst du irgendeines dieser Stücke oder einen der Künstler, sagte sie: Nein. Die Doppel-CD wurde wegen des schönen Covers gekauft. Bar Lounge Classics Vol. 2 und Vol. 3 sind nunmehr dazugekommen. 6 CDs mit Musik für Bahnfahrten, lange Stunden am Computer oder auf dem Balkon. Ohne diesen Deaf Date meiner Schwester hätte ich nie Kruder & Dorfmeister, Yonderboi, De-Phazz, Moby und Beanfield in meine Sammlung eingefügt.
Zum Geburtstag gab es Blues aus Westafrika. Ali Farka Touré und Toumani Diabaté mit „In The Heart Of The Moon“ (2005) und Boubacar Traoré mit „Kongo Magni“ (2005). Letzeren hatte ich 2004 zum zweiten Mal erlebt. Viele vergessen, dass es neben den US-Blues seit den 50er Jahren auch den Sahara-Blues, der sich aus der Griot Musik entwickelt hat, gibt. Lange Geschichten zu Gitarre und Kora.
Während des EK kamen dann noch zwei Scheiben dazu. 17 Hippies „OST Halbe Treppe“ (2002) und Brian Wilson „Presents Smile“ (2004). Die 17 Hippies zeigen leider nur ihr Potential, denn es ist wirklich eine OST (Original Soundtrack). Wenn die Musik nur für 45 Sekunden im Film zu hören ist, dann sind es auch nur 45 Sekunden auf der Scheibe. 22 Stücke in 37 Minuten. „Smile“ war ziemlich böse kritisiert wurden. Jahrzehnte verschollen und nun Jahrzehnte zu spät erschienen. Na ja, der Vorläufer „Pet Songs“ ist besser, aber ich möchte die Scheibe nicht missen.
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