Freitag, März 12, 2010

Archiv 200711: LE MONDE diplomatique September 2007

(ARCHIV: Blogeintrag vom 7. November 2007)

Mit dem üblichen Abstand von etwas über einen Monat sind nun die Artikel der
LE MONDE diplomatique frei auf deren Website www.monde-diplomatique.de zu lesen.

Hier ist meine kleine Auswahl von Hinweisen auf anregende Artikel. Ich fasse jeweils einige Gedanken des Artikels subjektiv zusammen. Dies soll vor allem eine Motivation sein, sich den jeweiligen Artikel zu Gemüte zu führen.
  • Die portugiesische Journalistin Sandra Monteiro beschreibt in einem Brief aus Lissabon, eine immer wieder aufkommende Identitätsdebatte über die Geschichte, Gegenwart und Zukunft Portugals. Die Autorin ist Redakteurin der portugiesischen Ausgabe der LE MONDE diplomatique. Als Portugiesin in Angola geboren und fühlt sich damit frei von bestimmten nationalen Belastungen. Anlass der sommerlichen Debatte in allen wichtigen Medien war eine wiederholte Bemerkung des Literaturnobelpreisträgers José Saramago, die zu Beginn der portugiesischen EU-Präsidentschaft in der Tageszeitung Diário de Noticias veröffentlicht wurde. Das Interview trug bereits im Titel als Zitat die Kernaussage „Ich bin kein Prophet, aber Portugal wird sich letztlich Spanien anschließen".
Sandra Monteiro zeigt wie eine hoch emotionale Debatte aufgekocht wird und ohne Wirkung einfach wieder verschwindet. Die Geschichte Portugals wird seit der Nelkenrevolution nach neuen Forschungen kontinuierlich neu geschrieben und viele nationale Gewissheiten wurden revidiert.
  • Ibrahim Warde hat 2006 das Buch „The Financial War on Terror", London veröffentlicht. Er ist Professor an der Fletscher School of Law and Diplomacy der Tufts University in Medford, Massachusetts. Unter dem Titel Der Preis der Furcht. Irrtümer und Lügen über die Finanzierung des Terrorismus wird ein Auszug dieses Buches in Übersetzung vorgelegt. Ibrahim Warde beschreibt, wann und wie einige Mythen zum Reichtum von Ussama Bin Laden fabriziert wurden und wie durch das ständige gegenseitige Zitieren in konservativen Think Tanks aus dieser Spekulation etablierte Fakten wurden. Die US Regierungsbeamte, die sich tatsächlich mit den finanziellen Hintergründen beschäftigten (Finanzministerium, Terrorrismusabwehr, CIA) haben in zugänglichen Berichten und Büchern die Unsinnigkeit der in den Medien zirkulierenden Zahlen beschrieben, aber dies hat bis heute keine Wirkung. Auch hier in Europa wurde bereits fest gestellt, dass al-Qaida keine Millionensummen benötigte, um ihre Terrorangriffe in London, Madrid und anderen Städten auszuführen. Prof. Warde spricht von gefühlter Wahrheit oder mit den Worten den Satirikers Stephen Colbert von Wahrfühlen (truthiness). Einem der wesentlichen Autoren, die an dem xenophoben Bild von den verschwiegenen arabischen Milliardären, die den Terror unterstützen, war der Starjournalist Jack Kelley von USA Today, der besonders wegen seiner Artikel über die Finanzierung des Terrors es bis auf die Shortlist zum Pulitzerpreis gebracht hat. Erst langsam wurde bekannt, dass er sich viele Fakten ausgedacht hatte.
  • Aus der südamerikanischen Edition der LE MONDE diplomatique wurde ein sehr langer Artikel Ana María Sanjuan übernommen, die unter der Überschrift Venezuela – die symbolische und die wahre Revolution von den Veränderungen unter der autoritären Herrschaft von Präsident Hugo Chávez Frías berichtet. Die Autorin arbeitet im Friedenszentrum der Univesidad Central de Venezuela. Der proklamierte Sozialismus des 21. Jahrhunderts hat seine Grundlagen in christlichen Werten und einer erstmaligen Integration der Bedürfnisse der indigenen Bevölkerung. Es werden sowohl die wesentlichen makroökonomischen Daten als auch die sozioökonomischen Indikatoren und ihre Veränderungen in den letzten 16 bzw. 9 Jahren aufgeführt. Massenarmut nimmt messbar ab und viele neue Bildungschancen und Arbeitsmöglichkeiten. Gleichzeitig gibt es eine vehemente Opposition aus der alten Mittel- und Oberschicht, die viele Betriebe und Medien kontrolliert. Es wird auch thematisiert, dass die neuen populistischen Massenorganisationen keine wirkliche Demokratisierung fördern, sondern eine Einheitsideologie pflegen.
  • Nicola Liebert, die als freie Journalist auch für die taz schreibt berichtet über Die gute Kapitalisten, wie Pensionsfonds zunehmend Einfluss auf Konzerne und Politik nehmen. Im Gegensatz zu anderen Formen von Investmentfonds (Private-Equity, Hedge, Aktien) verwalten die Pensionsfonds Geld, das erst langfristig als Rente ausgezahlt werden soll. Damit besteht ein Interesse, das die Investitionen in Betriebe fließt, die langfristig denken. Es interessieren keine Quartalsberichte der Betriebe sondern eher schon Fünf-Jahrespläne. Nicola Liebert beschreibt die Ironie, dass diese vor allen in den USA existierenden Pensionsfonds damit den wirtschaftlichen Trend nach der schnellen, maximalen Rendite unterlaufen.
  • Christopher Newfield von der der University Santa Barbara, California schreibt über Bildung für wenige. Die Hochschulen der USA verlieren ihren sozialen Auftrag. In den USA wurde nach 1945 die tertiäre Bildung massiv ausgeweitet und heute gibt es 4.000 Universitäten und Colleges mit 17 Millionen Studierenden. Dies ermöglichte auch jungen Menschen aus den heute so genannten bildungsfernen Schichten einen Zugang zur höheren Bildung und dies war auch das Regierungsziel. Die Schaffung einer neuen Mittelschicht, die im technisch-industriellen Bereich tätig wird. Studiengebühren und die Eliteuniversitäten haben den Zugang von unten wieder verschlossen. Der Qualitätsunterschied zwischen den Universitäten hat in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen. Die 10 reichsten Universitäten haben 2006 die Hälfte der privaten Spenden eingenommen. Der Trend hält also weiter an und diese Universitäten können sich die besten Wissenschaftler für Lehre und Forschung mieten.
  • Christopher Charle von der Universität Paris Panthéon-Sorbonne berichtet über Punkte sammeln und den Unsinn und Nutzen von Hochschul-Rankings vor allem in Europa. Die Kriterien für ein Ranking sind oftmals dubios, aber zunehmend wird eine gute Platzierung der eigenen UNI im nationalen, europäischen oder sogar globalen Maßstab zum Entscheidungskriterium für Studierende, Lehrende und Arbeitgeber. Das Ranking stellt aber nur das dar, was vorher als Indikator festgelegt wurde und als messbar definiert wurde. Die Konzentration auf eine Verbesserung der Werte einiger Indikatoren gefährdet die Qualität von Lehre und Forschung.
Ich hoffe diese Artikel aus Portugal, den USA, Venezuela, Deutschland und Frankreich sind für die Lesenden genauso anregend, wie für mich.

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